Laodiceas Verhängnis - Ivo Sasek - Elaion-Verlag
114 seinem Vater Vorwürfe: „Siehe, so viele Jahre diene ich dir, und niemals habe ich ein Gebot von dir übertreten; und mir hast du niemals ein Böcklein gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich wäre; da aber dieser dein Sohn gekommen ist, der deine Habe mit Huren durchge- bracht hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet“ (Lk. 15,29-30). Gerade anhand dieser Reaktion stellt uns der Heilige Geist also die zweite typische Problematik der Christenheit vor Augen. Während nämlich einerseits die Unmündigen in ihrem Glaubensleben noch etwas wagen und erleben möchten, in- folgedessen aber leicht dazu neigen, ihr Erbe (die grösseren göttlichen Verheissungen) vor der vom Vater festgesetzten Zeit zu beanspruchen, um damit eigenmächtige oder gar komplett falsche Ziele anzustreben, versäumen andererseits die Mündigen vor lauter treuem Dienen nur allzu oft die be- wusste Inanspruchnahme ihrer Sohnesrechte. Die älteren Söhne unterscheiden sich darum oft in keinem Punkt von blossen Knechten; und dies trotz ihrer Reife! Oder kannst du mir aufzeigen, in welchem Punkt der ältere Bruder sich von einem blossen Sklaven unterschieden hat? Darum musste ihn der Vater mit den Worten ermahnen: „Kind, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, ist dein“ (V. 31). Wie ernüchternd! Diesem Sohn war es nie in den Sinn gekommen, auch nur schon vom geringsten Sohnes- recht praktischen Gebrauch zu machen. Wenn er es aber über Jahre hinweg nicht einmal wagte, ein Böcklein für sich und seine Freunde zu beanspruchen, wie hätte er sich da je- mals an irgendeines der höheren Sohnesrechte heranwagen können? Der „ältere Sohn“ wird uns hier als ein Opfer von
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