Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

105 Sie setzte sich auf die steinerne Treppe. Wie muffig es hier roch, richtig eklig. Sie rümpfte ihre Nase. Nein, das war nicht der Ort, an dem sie lange bleiben wollte. Ihre Hand tastete die kalten Treppenstufen entlang. Ihre schmalen Finger glitten seitlich hin- unter. Sie stockte. Blitzschnell zog sie ihre Hand wieder an den Körper zurück. Laut schrie sie auf und schüttelte sich am ganzen Körper. Spinnweben hatten sich um ihren Arm geschlungen. Doch sie hatte noch etwas gespürt, etwas Weiches. Sie tastete mit ihren Händen danach und tatsächlich – es fühlte sich an wie ein Stück Stoff. Sie zog daran und rieb das Teil vorsichtig zwi- schen ihren Fingern. – Ja, das muss Stoff sein! Anneli roch daran und hustete unwillkürlich. Der Geruch von Moder und Fäulnis schlug ihr entgegen. Sie warf das Tuch schnell wieder von sich. Wer weiss, womit das schon alles in Berührung gekommen war. Sie schauderte beim Gedanken daran. Das Mädchen lehnte sich erschöpft an das Mauerwerk und schloss für einen Moment die Augen. Das Licht des Mondes schien fahl durch die kleine Luke auf die Gefangene herab und erhellte das bleiche Antlitz des Mädchens. Sie wäre fast eingenickt, da hörte sie auf einmal ein Geräusch. Es klang wie … Flügelschlag! Schlagartig war sie hellwach und blickte auf. Sie entdeckte weit oben eine kleine Öffnung, es sah aus wie ein Fenster. Dunkle Schatten drängten sich vor die Luke und sie hörte immer mehr ein Flattern in der Luft. Sind das Vögel? Die schlafen doch meistens zu dieser Nachtzeit. Anneli kniff ihre Augen zusammen, um besser sehen zu können. – Sie entdeckte ganz viele von diesen flatternden Dingern, die sich oben an der Decke sammelten, und immer mehr flogen durch das kleine Fenster herein. Sie erstarrte vor Schreck. – Das sind ja Fledermäuse!!! Da! Soeben hatte etwas Annelis Gesicht berührt. Sie zuckte zu- sammen. Ein kühler Lufthauch hatte sie gestreift. „Geht weg, geht weg!“, schrie sie mit aller Kraft. „Verschwindet!“

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