Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag
17 Sie konnte nicht mehr. Lautes Schluchzen drang aus ihrem Mund und sie konnte die verzweifelten Schreie „Nein, nein, nein!“ nicht mehr zurückhalten. „Schnauze, sonst bind ich dir den Mund auch noch zu!“, fuhr der Fuhrmann über die Schulter gewandt das Mädchen an. Was hat der Vater immer gesagt? – „Anneli, wir können oft nicht verste- hen, was Gott tut und weshalb Er gewisse Dinge zulässt, aber eines wol- len wir nie vergessen: ER meint es immer gut mit uns! ER liebt die Men- schen und besonders uns, die Juden, Sein Volk!“ „Ja, Papa“, flüsterte sie. „Ich möchte es auch nie vergessen, aber es ist so schwer, das zu glauben.“ Immer wieder sah sie Noah ins Gras sinken. Er war ihr mehr als ein Gefährte gewesen. Er war wie ihr grosser Bruder, ein ganz spe- zieller Freund, dem sie viele ihrer Geheimnisse anvertraut hatte. Ein tiefes Heimweh und ein ebenso tiefes Gefühl der Verlassen- heit durchflutete das Herz des kleinen Mädchens. Dies würde jahrelang ihr täglicher Begleiter sein. Mit einem tiefen Seufzer liess sie ihren Kopf hängen und ver- suchte einmal mehr ihre Stellung zu verändern, damit es erträg- licher für sie wäre. Dabei stiessen ihre Hände an das Stücklein Brot, das immer noch in ihrem Schoss lag. Sollte sie …? Nein, von diesen Mördern wollte sie kein Essen annehmen. Das laute, eintönige Knarren des Wagens rieb an ihren Nerven und im Takt der Räder konnte sie nur noch eines denken: Vater, Vater, Vater … Plötzlich schien ihr, es würde ein wenig heller und wärmer. Die Pferde begannen zu traben und an der Neigung des Wagens er- kannte sie, dass es jetzt abwärts ging. Die Tiere wurden wieder langsamer und das „Brrrrrr“ des Fuhrmanns brachte sie ganz zum Stehen. Behände sprang der Kutscher vom knarrenden Wagen, band die Pferde los und liess sie frei grasen. „Die laufen schon nicht da- von“, meinte er.
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTY5NDM=