Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

22 gungslosen Ausgeliefertseins an eine unheimliche, fremde Macht. Die Sehnsucht nach Schutz und Geborgenheit, nach der Wärme des wichtigsten Menschen in Noldis behüteter Kindheit stieg in ihm hoch, und die Gewissheit, dass diese Kindheit nun für immer verloren war. Grossvater Walter Tell, Enkel des Mitbegründers der Schwyzer Eidgenossenschaft, war für seinen Lieblingsenkel immer der In- begriff der Freiheit und des Lebens gewesen. Ein lange unterdrücktes Schluchzen stieg nun in dem tapferen Jungen hoch, Tränen, die Noldi Winkelried in den letzten Wo- chen eisern zurückgehalten hatte. Während dieser Zeit hatte er sich mit den Freischärlern seines neuen Freundes Dany in den nahe gelegenen Bergtälern der Schwyz versteckt. Unbedingt wollte, ja musste er vor seinem gleichaltrigen Hauptmann und dessen halbwüchsigen Knabenschaftlern als mannhaft gelten. Und doch war die Last viel zu schwer, um sie allein zu tragen: das Wissen, dass er seinen Grossvater niemals wiedersehen würde. Auch vor der fürsorglichen Vreni hatte er seine Verzweiflung und seine Trauer verborgen gehalten. Die Häscher der Inquisi- tion hatten ihn heute zusammen mit ihrer zwanzigköpfigen Gruppe gottesfürchtiger Waldenser gefangen genommen. Die Frau, die schon so viele Schwerverletzte in ihrem Leben gepflegt hatte, nahm sich auch Noldis Wunden an. Vrenis Mann und ihren Brüdern verdankte er seine Befreiung aus einem Hinterhalt habsburgischer Söldner, in den er mit Da- nys Haufen vor zwei Tagen geraten war. All das war zu viel, viel zu viel für einen Elfjährigen. Und nun brach es aus Noldi heraus: „Grossvater, Grooossvaaaa- ter!“ Der wochenlang zurückgehaltene Tränenstrom ergoss sich in Sturzbächen über seine kindlichen Wangen.

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