Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag
34 Er rupfte einen Grashalm aus und drehte ihn um seine Finger. Als er wieder zum Reden ansetzte, brachen seine ganzen Erleb- nisse ungehemmt aus ihm heraus. Nach seiner Erzählung fühlte er sich wie ausgelaugt. Seine Ge- schwister hatten ihm mit Tränen in den Augen zugehört. Nun half ihm Agnes ins Haus zu seiner strohbedeckten Pritsche. Ihre Betten waren auf dem Dachboden. Eine Leiter in der Küche führte dort hinauf. Agnes fuhr ihm durchs Haar und flüsterte ihm zu: „Sei den Eltern nicht böse. Mutter hat schwer zu tragen an ihrem Kind … und jetzt noch der Tod von Grosspapa!“ Die folgenden Nächte waren furchtbar. Der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Jeden Abend fühlte sich Noldi völlig erschöpft. Doch immer wieder liess ihn das Bild seines Grossvaters im Boot hochfahren. Tief in der Nacht übermannte ihn meistens die Mü- digkeit. Jedoch quälten ihn Albträume. Häufig träumte er, er wäre der Stein an Tells Füssen, der den Grossvater in die Tiefe reissen würde. Der erste Hahnenschrei am Morgen kam ihm jedes Mal wie eine Erlösung vor. Entkräftet und zerschlagen erwachte er, aber wenigstens waren die Albträume vorbei. Drei Wochen vergingen, ohne dass Noldi über seine Trauer hinwegkam. Eines Morgens schlug er die Augen auf und hörte im unteren Stock die Mutter das Frühstück herrichten. Noldi kletterte die Stiege hinunter. Auf der untersten Sprosse verharr- te er und beobachtete seine Mutter. Sie sah bedrückt und schwermütig aus. Mit gebeugten Schultern rührte sie den Hirse- brei an. Ihren Sohn bemerkte sie gar nicht. Gottfried betrat das Zimmer. Auch Agnes, Hans und die Kleinen versammelten sich zum Essen in der Stube. Marthe reichte ihrer Familie die Schüsseln mit Hirsebrei und setzte sich dann als Letzte. Eine Bedrücktheit lastete auf der Familie.
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