Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

47 „Hätten wir etwa zusehen sollen, wie man einen wehrlosen Jun- gen tötet oder als Sklaven verkauft?“ „Zu viele Menschenleben wurden schon gefordert. Man mun- kelt, dass alleine die letzten sieben Kreuzzüge zweiundzwanzig Millionen Menschenleben gekostet haben“, sagte der Mann, der den Hasen briet, mit energischer Stimme. Nun meldete sich wieder Noldis Pflegerin zu Wort. Sie beugte sich zu Noldi hinunter. „Wusstest du, dass allein Jerusalem sech- zigtausend ermordete Juden beklagt, weil sie sich nicht zum Papsttum bekehren wollten?“ „Wie die zehntausend Stedinger Bauern suchen sie auch uns samt unseren Familien niederzumetzeln.“ Die Frau fuhr Noldi liebevoll durch das Haar. „Mach dir keine Sorgen, Junge, seit Jahren schweben wir in Lebensgefahr, weil wir uns nur dem Heiligen Geist und nicht den Inquisitoren und ihren Kreuzrittern unterwerfen wollen.“ Bevor Noldi seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen konnte, erklang auf einmal eine schneidend kalte Stimme aus dem Hin- tergrund: „Wollt ihr das wirklich nicht?“ Alle erstarrten vor Schreck. Der Höhleneingang war besetzt von Kreuzrittern. Drei Bogen- schützen hatten sich auf den Boden gekniet und richteten ihre Pfeile auf ihre wehrlosen Opfer. Der Wortführer stand in der Mitte, umringt von fünf weiteren Rittern, deren Hände angriffs- bereit auf ihren Schwertknäufen ruhten. Noldi ging bei diesem Anblick ein Schauer über den Rücken. Das kann es doch nicht ge- wesen sein? Ich werde gerettet und im nächsten Moment steht mir wieder das gleiche Schicksal bevor? Die Waldenser verharrten regungslos in ihren Positionen. Mit einem gehässigen Grinsen fuhr der Ritter fort: „Mal sehen, welcher Gott der stärkere ist! Lange haben wir euch gesucht. Lange hatten wir Zeit, euch eine Stätte zu bereiten!“ Er winkte

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