Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag
54 Der Junge schüttelte den Kopf. Lesen konnte er ein wenig, aber danach hatte der Mann schliesslich nicht gefragt. „Ja, das dachte ich mir. Selbst die meisten Mönche hier beherr- schen diese Kunst nicht. Übergib ihn den Nonnen, Gregorius. Sie sollen sehen, dass sie eine Beschäftigung für den Knaben fin- den. Im Garten brauchen sie immer Helfer.“ Er tätschelte Noldi grob, aber durchaus freundlich die Schulter. Dann verschwand er zwischen seinen Getreidesäcken. Noldi wandte sich an Gregorius und wagte das erste Mal zu sprechen: „Wer war das?“ „Der Cellerar. Ihm unterstehen alle praktischen, häuslichen An- gelegenheiten des Klosters“, antwortete er gelangweilt. Er schob Noldi durch eine Tür hinaus, die zum Hof führte. Noldi musste die Augen zusammenkneifen, als er in die Sonne trat. Zu lange hatten seine Augen das Tageslicht entbehren müs- sen. Allmählich gewöhnte er sich an die Helligkeit und sog die frische Luft tief ein. Sie überquerten den Hof, der im Westen von den Stallungen, im Osten von den hohen Mauern des Refektoriums eingerahmt wurde. Vor ihnen ragte eine Mauer empor. Ein hölzernes Tor war in sie eingelassen, auf das Bruder Gregorius zielstrebig zusteuerte. Er zog an einem Seil, das neben dem Tor hing. Gedämpft durch das Holz hörte man ein Glöckchen schellen. Wenige Zeit später wurde die Pforte geöffnet und eine betagte Nonne blickte Gregorius verdriesslich an. „Der Cellerar schickt mich“, begann er zu erklären. „Der Junge soll für die täglichen Dienste bei euch aushelfen, vor allem wohl im Garten.“ Die Nonne grunzte mürrisch, zog Noldi mit einem Handgriff durch das Tor und liess dieses mit einem wuchtigen Knall zufallen. Dann brachte sie ihn zum Gemüsegarten, um ihn dort der Auf- seherin auszuhändigen, die ihn grob in die Gartenarbeit einwies.
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