Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag
57 schlungen war. Darüber lag ein schwarzer Schleier, der den Abgesonderten über den Rücken hinunterhing. Um ihren Hals baumelte ein grosses Holzkreuz. Anna hatte nicht lange Zeit, um sich alles anzusehen. „Setz dich hierher! Ich bin Schwester Sieglinde und jetzt isst du erst mal was!“ Nein, das werde ich nicht, war sich Anneli sicher. Langsam setzte sie sich auf die äusserste Kante der harten Holzbank und schob das Brot, das Sieglinde ihr hingelegt hatte, entschieden zur Seite. „Du isst!“, befahl die Ordensfrau dem Mädchen energisch. „Nein!“, entgegnete Anneli entschieden und wollte sich zur Seite drehen. Doch noch bevor sie sich ganz abgewandt hatte, erhielt sie eine schallende Ohrfeige, die ihr die Tränen in die Augen trieb. „Du isst, oder soll ich dir alle Haare abschneiden? Das gefällt euch Judengesindel doch so!“ Diese Drohung brach auch noch den letzten Widerstand des Mädchens. Langsam nahm sie das Brot und begann unter leisem Schluchzen zu kauen. „Du musst hier gar nicht heulen. Du hast’s nämlich noch sehr gut getroffen, anderen geht es viel dreckiger. Unsere ehrwür- dige Mutter, die Priorin, heisst Anna-Katharina. Du lernst sie dann schon noch kennen, und der Abt Johann ist ein heiliger und guter Mann!“ Johannes, wie mein Papa , dachte Anneli betrübt. „So, steh auf und komm, ich habe Arbeit für dich. Du bist nicht zum Faulenzen hier!“ Sieglinde zog Anneli am Arm hoch und eilte in die Küche. „Übrigens, versuch erst gar nicht zu fliehen, sonst …!“ Sieglinde drehte sich um, hielt ihre flache Hand dem Mädchen an den Hals und bewegte sie mit gnadenlosem Blick einmal nach links, ein- mal nach rechts. Anneli schaute sie schreckerfüllt an und begann zu zittern. Die meint es ernst … oh Gott !
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