Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag
59 Anneli stöhnte leise und verkniff sich die Tränen. Obwohl sie sich Mühe gab, schnell vorwärts zu kommen, schien der Boden, den sie zu bearbeiten hatte, kein Ende zu nehmen. Der Rücken und die Knie taten ihr weh, die Hände waren eiskalt. „Ich muss jetzt zur Messe, wenn ich wiederkomme, ist hier alles fertig, klar?!“ „Ja.“ Anneli wartete, bis sie sicher sein konnte, dass die Nonne wirk- lich verschwunden war, erst dann richtete sie sich mit einem Seufzen auf und massierte mit den Händen ihr schmerzendes Kreuz. Plötzlich ertönten monotone Sprechgesänge. Das ist Messe? Das klingt aber nicht schön! – Oh, ich muss vorwärtsmachen, sonst ver- sohlt sie mir den Hintern! Eifrig machte sich Anneli wieder an die Arbeit und war auch wirklich fertig, als Schwester Martha wie- der ins Refektorium trat. „Hm, gut“, meinte diese, nachdem sie den Boden begutachtet hatte. „Und jetzt kannst du mir Wasser holen. Das ist sowieso ab jetzt dein Teil. Dann muss ich die schweren Eimer nicht mehr hierher schleppen. Danach hilfst du mir, das Abendessen zu be- reiten. Los, komm, ich zeig dir, wo der Brunnen ist!“ Am Abend führte Sieglinde das Mädchen eine knarrende Holz- treppe hinauf in eine Kammer über dem Speicher. „Hier kannst du schlafen.“ Sie deutete auf eine wurmstichige Bettstatt mit einem Strohsack. Eine Decke lag zerknüllt in der Ecke des Bettes. „Wäh- rend der Morgenandacht musst du dann Wasser holen und die Tische decken. Ist doch wohl besser hier als bei den Habsburgern, oder?“ Mit diesen Worten zog sie die Türe zu und Anneli hörte, wie sich ihre Schritte über die knarrende Treppe entfernten. Langsam schweifte ihr Blick durch die kleine Kammer. Der Boden war aus Holz und die Aussenwände bestanden aus grossen Steinen. Ausser dem Bett war nur ein kleiner Stuhl in dem kalten Raum, und eine Kerze stand auf einer runden Tonunterlage neben dem
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