Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

6 Bürger der Länder eifersüchtig und wütend gemacht. Als die Pest ausbrach, nahmen dies viele Leute als willkommenen An- lass, die Schuld daran den Juden in die Schuhe zu schieben.“ Die Mutter seufzte tief: „Bereits Anfang 1348 kam das Gerücht auf, dass die Juden Gift in Quellen und Brunnen träufeln und deshalb die Pest ausgebrochen sei. Das war eine pure Lüge. In Savoyen wurden jüdische Angeklagte gezwungen, solche Verge- hen zuzugeben, indem sie gefoltert wurden.“ „Was, sie haben zugegeben, dass sie Gift in die Brunnen getan haben, obwohl das gar nicht stimmte? Weshalb denn?“ „Ja, weisst du, wenn einem so starke Schmerzen zugefügt wer- den, dass man nur noch sterben möchte, dann lässt man sich manchmal dazu verleiten, Dinge zu sagen, die gar nicht wahr sind, nur damit diese Qual aufhört.“ „Und dann, Mama?“ „Tja … das Volk nahm dies zum Anlass, die Juden zu vertreiben oder zu töten, vor allem im Elsass und entlang des Rheins. Da- mit waren sie dann auch gleich ihre Schulden los. Aber, komm, lass uns von etwas anderem reden!“ Sie schaute in das schmale Gesicht ihrer kleinen Tochter: „Anneli, weisst du noch, dass dein Name ,Gnade‘ bedeutet? Vergiss es nie, ganz gleich, was auch immer passiert! Gott ist immer voller Gnade dir gegenüber. Gell, wir wollen tapfer sein!“ Fast beschwörend flüsterte die Frau in den abgetragenen Klei- dern diese Worte dem Kind ins Ohr, als ob sie spürte, welche Not der heutige Tag über die kleine Gruppe der fliehenden Ju- den bringen würde. Seit Wochen waren sie unterwegs, beständig auf der Flucht vor den habsburgischen Soldaten, die nur im Sinn hatten, sie zu tö- ten und ihre Kinder als Sklaven an die Klöster zu verkaufen. Erbarmungslos wurden sie gejagt, und nur dank der klugen Füh- rung ihres Mannes gelang es der kleinen Gruppe, immer wieder ihren Verfolgern zu entkommen.

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