Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

60 Bett. Erschöpft liess sich das Mädchen auf das Stroh fallen und kugelte sich unter der zerschlissenen, modrigen Decke zusam- men. Ihr Gesicht in beide Hände gelegt begann sie haltlos zu weinen. Mama, Papa! Ich kann nicht mehr! Ist das jetzt mein Zuhause? Am liebsten würde ich fliehen. Aber wohin? Ich hab ja gar niemanden mehr. Doch, Daniel! Vielleicht lebt er noch und ist auch irgendwo in ein Kloster verschleppt worden. Wehmütig dachte sie an die Zeit ihrer Kindheit zurück und an die glücklichen Jahre im Schoss ihrer Familie. Dann schlief sie traurig und erschöpft ein. Die Tage schlichen dahin. Annelis Herz wurde immer trostloser und eine lähmende Resignation liess sie alles gleichgültig ertra- gen. Jeden Abend weinte sie sich in den Schlaf. Auch Daniel vermisste sie schmerzlich, und die Angst um ihn schnürte ihr immer wieder den Hals zu. Kein Lächeln zierte das sonst so hübsche Mädchengesicht. Liebe und Freundlichkeit erfuhr sie äusserst selten, und die Sehnsucht nach den Eltern und dem Leben mit ihnen wurde immer stärker. Pater Waldes schien der einzige freundliche Mensch hier zu sein … Manchmal, wenn sie ihm in den Gängen begegnete, strich er ihr kurz und sanft übers Haar. Anneli musste viel arbeiten: putzen, in der Küche helfen, abwa- schen, den Boden wischen und vieles mehr. Am schlimmsten aber waren diese schweren Wassereimer. Sie musste die leeren Eimer über dem Brunnen an den Haken hängen und an einem Seil hinunterlassen. Das ging ja noch, aber die gefüllten Eimer hinaufzuziehen, war für das schmächtige Mädchen fast nicht mög- lich. Manchmal half ihr einer der Stallburschen dabei. Norma- lerweise musste sie sich aber mit ihrem ganzen Körpergewicht an das Seil hängen und unter Aufbietung aller Kraft ziehen, da- mit sie die schweren Eimer heraufbefördern konnte. Sie aber

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