Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

61 dann ohne auszuschütten in die Küche zu tragen, brachte sie immer wieder an den Rand ihrer Kraft. War sie zu langsam, wurde sie obendrein noch von Schwester Martha mit einer Ohr- feige empfangen. Die Verantwortung der Nonnen war es, sich im kleineren Teil des riesigen Anwesens um die Geflügelzucht und die Gärten zu kümmern. Bei der Gartenarbeit halfen den Nonnen meist einige der jungen Knechte, die sich normalerweise um die Pferde und das Vieh kümmerten. Die Oberin mahnte Anneli, sich wie die Nonnen ebenfalls jegli- cher Blicke zu enthalten und ihr Gesicht keusch nach unten zu senken, wenn sie im Garten half und männliches Geschlecht zu- gegen war. Sobald Anneli aber unbeobachtet war, redete sie mit den jungen Burschen, die ihr immer mit den Wassereimern halfen. Auf- munternd zwinkerten ihr die Knechte zu, einer warf ihr sogar einmal einen saftigen, roten Apfel in den Schoss. Doch auch sie konnten ihr nicht helfen, hier wegzukommen. Niemand hätte das gewagt! Der Gänserupf Im Herbst wurden die gemästeten Gänse geschlachtet. Anneli musste sich in der Küche neben Schwester Martha auf einen Schemel setzen. Schon beim Eintreten hatte sie die toten, blut- verschmierten Gänse gesehen, als aber Sieglinde eines dieser Tiere nahm und in ihren Schoss legte, schrie Anneli auf und woll- te rausgehen. Doch schon wurde sie von den Händen der Oberin auf ihren Schemel gedrückt. „Anna, dies hier ist ein Ort der Stil- le und Besinnung. Ich dulde kein solches Geschrei! Nur wenn du dich gut entwickelst, wird dir der Abt die Möglichkeit geben, Nonne zu werden, auch wenn du dem Judenpöbel angehörst.

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