Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

64 ger. Doch der Vater gab keine Ruhe, bis er die beiden aufge- spürt hatte. Um diese Schande zu rächen, liess er ihren Mann erhängen und nahm der jungen Mutter das Kind weg. Schliess- lich gab er sie in die „Obhut“ des Klosters und bezahlte dem Abt eine angemessene Summe für ihre Aufnahme. Sie musste ein Gelübde auf Lebenszeit ablegen. Sieglinde schluchzte und wünschte sich, sie hätte ein anderes Leben gehabt. Seit Jahren war sie hier eingesperrt und setzte all ihre Kraft ein, um das oberste Amt in diesem Kloster bekleiden zu können. Nein, ich muss jetzt stark sein! Sie konnte sich keine Schwächen dieser Art leisten, sonst hätte sie ihre Aussicht auf das Priorin- nen-Amt verwirkt. Hildegard, der „Mutter-Priorin-Liebling“, hoffte anscheinend auch, die Nachfolgerin von Mutter Anna- Katharina zu werden. Mit einem Seufzer erhob sie sich. Noldi „Gott, lieber Gott, kannst Du mir denn wirklich nicht helfen? Ich bin so alleine, bitte, bitte hilf mir“, bat Anneli an einem Abend inniglich. In Gedanken war sie wohl schon tausendmal geflohen, aber all ihre Fluchtpläne zerbrachen stets an der gnadenlosen Realität ihres Alltags. Nein, es gab keine Möglichkeit, hier weg- zukommen. Jeden Abend schlief sie erschöpft ein, um nach nur wenigen Stunden wieder durch das Glockengeläut geweckt zu werden. Das war ihr Zeichen, der Tag begann. Während der Morgenan- dacht, wo jeweils diese eigenartigen Gesänge der Mönche und Nonnen ertönten, musste sie schnell in die Küche gehen, um Wasser zu holen und das erste Mahl vorzubereiten. So auch an diesem Morgen.

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