Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag
65 Als alle im Esssaal versammelt waren und die Holzlöffel nach dem Gebet eifrig in die Grütze getaucht wurden, fiel ihr Blick plötzlich auf eine kleine Gestalt, die auf der gegenüberliegenden Seite mit dem Rücken zu ihr sass. Es musste ein Junge sein, der dort still sein Essen einnahm. Von der Grösse her konnte er etwa in ihrem Alter sein. Sein dunk- les Haar hing halblang auf seine Schultern herab. Was macht denn der hier? Wo kommt er so plötzlich her? Gestern war er noch nicht da und sonst hat es doch im Kloster keine anderen Kinder , dachte Anneli. Als hätte der Junge ihre Gedanken gehört, drehte er sich um. Anneli erschrak und schaute schnell auf ihren Teller. Verlegen sah sie zu den Nonnen, die neben ihr sassen. Diese tuschelten miteinander und beachteten sie nicht. Sie blickte noch einmal zu dem Jungen, der sich scheinbar nichts daraus machte, sie immer noch anzugucken. Schelmisch zwinkerte er mit den Augen und wandte sich dann wieder seinem Essen zu. Kaum war das Mahl zu Ende, führte eine Nonne das Mädchen in den Gang. Da stand er, dieser fremde Junge von vorhin, und strahlte sie aus zwei grossen, braunen Augen an. Sein hübsches Gesicht wurde umrahmt von seinem schulterlangen Haar mit den zwei geflochtenen Zöpfen. Seine Zuversicht stand in krassem Gegen- satz zu Annelis Entmutigung. Dieser kecke Blick weckte in ihr ein schlechtes Gewissen. Ihr wurde schmerzlich bewusst, wie falsch es gewesen war, jegliche Hoffnung aufzugeben. Der Junge liess die Erinnerung an Noah wieder wach werden und seine Augen schienen zu sagen: „He, schön, dass du da bist.“ Doch sie spürten beide, dass sie jetzt nicht reden durften. Anneli schenkte dem Knaben nur ein feines Lächeln, das sie mehr mit den Augen ausdrückte als mit dem Mund. „Das ist Anna und das Arnold“, stellte die Ordensfrau die zwei kurz vor. „Und jetzt ab an die Arbeit, ihr könnt in der Kapelle
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