Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

7 Vor einer Woche hatten sie sich als Familie getrennt. Die älte- ren Geschwister waren mit Onkel Henoch zu Verwandten ge- gangen, um sie zu warnen. Anneli und ihr Bruder Daniel aber durften bei den Eltern bleiben. Kleinere Gruppen hätten die bessere Aussicht, nicht entdeckt zu werden, meinte ihr Vater. Schweren Herzens hatten sie sich verabschiedet. Nur für kurze Zeit. Onkel Henoch würde mit den anderen später wieder zu ihnen stossen. Die Mutter hauchte ihren warmen Atem kräftig in die klammen Kinderhände, um sie wenigstens ein bisschen zu erwärmen. „Komm jetzt!“ Die siebenjährige Anneli kroch unter der feuch- ten Decke und den Zweigen hervor, welche ihr in dieser Nacht wenig Schutz und Wärme gegeben hatten. Zitternd erhob sie sich und rieb ihre Hände aneinander. „Ah, ist das kalt!“ Es war noch dunkel, nur das fahle Licht des Mondes erhellte die kleine Lichtung, auf der die Flüchtenden diese Nacht verbracht hatten. Überall schälten sich Erwachsene und Kinder aus ihren schmutzigen Decken heraus. Beim Feuer, das nur noch schwach glomm, sammelte sich die verfolgte Schar. Die Gruppe bestand aus zehn Männern, sieben Frauen und drei Kindern. Annelis Mutter goss jedem warmes Wasser in seine Tonschale. Der Vater, Johannes, brachte Anneli und ihrem kleinen Bruder Daniel ein Stück hartes Brot, das in den Kindern eher schmerz- haft das Bewusstsein des nagenden Hungers weckte, als dass es ihn zu stillen vermochte. Die Geschwister traten von einem Fuss auf den anderen, um die Kälte zu vertreiben. Voller Mitleid trat Anneli nahe zu Daniel, umarmte ihn und rieb mit ihrer Hand seinen Rücken. Seit er auf der Welt war, küm- merte sich Anneli wie ein kleines Mütterlein um ihren jüngeren Bruder. Auch jetzt hatte sie die Tränen in seinen Augen sofort bemerkt und versuchte alles, um ihn irgendwie zu wärmen und zu trösten.

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