Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

8 „Nicht mehr lange, dann geht die Sonne auf und es wird wieder schön warm“, versuchte sie Daniel aufzumuntern. „Heute finden wir bestimmt wieder Buchenblätter, die isst du doch so gerne.“ Der Kleine nickte tapfer und schmiegte sich innig an seine Schwester. Aufmerksam beobachtete Anneli die Männer, welche zusam- menstanden, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Ihr Blick blieb an dem geliebten Antlitz des Vaters hängen, der an diesem Tag noch sorgenvoller aussah als sonst. Nicht verwunderlich, hatte er doch als Führer dieser kleinen Gruppe die Hauptlast zu tragen. Eine falsche Entscheidung konnte sie alle das Leben kos- ten. Er sieht aus wie Mose, ja, gewiss, etwa so muss Mose ausgesehen haben , dachte das Mädchen. Nie würde sie die spannenden Geschichten vergessen, welche ihr die Eltern immer wieder aus der Thora erzählt hatten. Oft waren die Israeliten verfolgt worden, und noch immer hatte Gott sie aus den ausweglosesten Lagen gerettet. Wie damals, als Moses mit dem Volk vor dem Meer stand und hinter ihnen die Ägypter herandonnerten. „ER wird auch uns retten“, flüsterte sie ihrem kleinen Bruder zu. „Ganz gewiss!“ Ihre Worte tönten zwar zuversichtlich, dennoch konnten sie die Angst, welche ihr Herz immer wieder umklammerte, nicht ganz vertreiben. Etwas ist anders heute , dachte Anneli. Der nieselnde Regen, der ein- gesetzt hatte, konnte nicht der alleinige Grund sein. Nein, heute ist es anders als sonst, wie …wie wenn drohendes Unheil in der Luft liegen würde . Ein kurzer Stoss in ihre Seite liess sie aus den grüblerischen Ge- danken auffahren. „Du Schelm!“ Sie schaute in zwei lustig funkelnde Augen, die sie aus einem spitzbübischen Knabengesicht anblitzten. „Schläfst du jetzt schon im Stehen?“, neckte sie der zwölfjährige Noah, des- sen braunes Haar wie immer wirr nach allen Seiten von seinem Kopf abstand. „Nein, aber sag mir, weshalb machen sich die Männer Sorgen? Was ist passiert?“

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