Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

92 „Wenn die Mönche und Nonnen sich unten im Keller treffen, legen wir uns auf die Lauer. Irgendwann wird schon einer kommen, dann …“ Schelmisch zog er an dem dünnen Seil, das seinem Oberkleid um die Hüfte Halt gab. Er band es los und legte es auf eine der Treppenstufen. „So und jetzt gehst du auf die andere Seite und hältst das Seil locker in der Hand. Auf mein Zeichen hin ziehen wir beide fest daran, sodass es ganz gespannt ist. Psst, keinen Ton mehr, da kommt schon jemand.“ Anneli musste kichern. Wie kann man nur auf so eine Idee kom- men? Oft hatten ihre Brüder die lustigsten Streiche erzählt, die sie dem Rabbi in der Schule spielten. Insgeheim hatte sich das Mädchen immer gewünscht, einmal selber mit dabei zu sein. Tatsächlich näherte sich eine singende Nonne mit einem Eimer in der Hand. Die beleibte Ordensfrau passierte wohlgemut die Treppe, wo Noldi und Anneli lauerten. „Die nächste nehmen wir!“ Kurze Zeit später folgte ein Mönch. „Schwester Martha, wo bist du?“, hofierte er in singender Weise. Noldi schnalzte kurz mit der Zunge, um Annelis Aufmerksam- keit zu erregen. Ihr hochgehobener Daumen bedeutete ihm, dass sie bereit war. Jetzt! Die Kinder zogen das Seil blitzschnell straff. Des Mönchs lederumriemter Fuss verfing sich in dem gespann- ten Seil und er stürzte kopfüber die Stufen hinunter. Sein Schrei hallte durch den Keller. Aus Furcht und schlechtem Gewissen hielt sich Anneli die Oh- ren zu. Sie sah hinüber zu Noldi, der betreten die Hand auf den Mund legte. „Wer war das?“ Der Frater fuhr wütend auf. Er zerrte Anneli aus ihrem Versteck und fasste sie am Ohr. Noldi, der herbeieil- te, um ihr zu helfen, wurde genauso gepackt. „Aua! Aua! Nein. Ahh!“ Die Kinder ächzten und stöhnten.

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