Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

95 Die Nonnen hoben die vor Schmerzen Stöhnende auf die Beine. Doch es trat keine Besserung ein. Stattdessen begann die Frau nun fieberhaft zu hecheln und zu wimmern. Sie krümmte sich und hielt verkrampft den Bauch. „Was ist? Nun stell dich nicht so an! So schlimm kann es doch nicht sein!“ Der tadelnde Blick der Oberin schien durchdringender als die schneidenden Worte. Das Wimmern wurde zum Schreien, Blut und Wasser strömten wie ein Rinnsal unter dem schwarzen Rock der Nonne hervor. Wie gebannt blickten die Umstehenden auf den Boden. Ein letzter durchdringender Schrei der gestürzten Nonne ertönte. Plötzlich fiel ein fleischig blutiges Gebilde aus ihrem Schoss auf die Erde. Das klägliche Weinen eines Neugeborenen hallte im Raum. „Oh, nein, nicht schon wieder! Ich dachte mir doch, du Schlange, dass dein dünner Kopf nicht zu deinem dicken Umfang passt!“ Die Oberin presste ihre Lippen fest zusammen. Die Nonne wurde links und rechts mit eisernem Griff auf den Beinen gehalten. Eine der Klosterfrauen nahm einen herumlie- genden, verschmutzten Lappen und wickelte das schreiende Neugeborene darin ein. Dabei achtete sie darauf, so viel wie nur möglich von der Schande aufzuwischen und sich selber so wenig wie nur möglich zu besudeln. „Was machen wir jetzt?“ „Na ja, das, was wir halt immer wieder mal tun müssen“, sagte eine der Umstehenden mit blitzenden Augen und eiskalter Stimme. Die Nonnen-Mutter schluchzte und flehte zum Erbar- men. Sie riss ihr Kind an sich, als wolle sie es nie wieder hergeben. Anneli kauerte erstarrt vor Schreck neben ihrem Freund. In ihren Gedanken spielten sich ungestüme Szenen ab. Sie musste daran denken, wie sie und Noldi ein paar Wochen zuvor den gehei- men Kellerraum entdeckt hatten, in dem sich eine ganze Schar von Mönchen und Nonnen miteinander vergnügten. War es nicht genau diese Frau, die jetzt ihr Kind in den Armen hielt, die sie direkt vor ihren Augen gesehen hatte mit einem Mönch …?

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