Helden Sterben Anders - Ivo Sasek - Elaion-Verlag
97 „Ich schwöre! Ich schwöre, ich schwöre …, wenn ihr mich nur am Leben lasst. Ich schwöre!!“ Die Stimme des hilflosen Mäd- chens überschlug sich vor Schluchzen. „Wir sollten sie zum Turm bringen“, ertönte eine gnadenlose Stimme. „In diesem Alter? Das können wir doch nicht tun.“ Aus den Augen der Oberin blitzte die nackte Erbarmungslosig- keit. Sie packte Anneli am Arm und schleifte sie an den Haaren aus dem Keller. Auf halbem Weg hielt sie inne. „Mit diesem Luder da …“, sie deutete auf das elende, hilflose Baby, „… ihr wisst, was zu tun ist!“ Noldi schlich der Oberin vorsichtig nach und musste verzweifelt und tatenlos mit ansehen, wie sie Anneli in den Turm schleppte. Im Gelageraum „Nein! Bitte lass mich los! Bitte!“ Anneli schrie aus Leibeskräf- ten. „Hilfe, Hilfe, ich will nicht sterben, bitte, ich will nicht sterben!“ Die Nonne beachtete das Flehen des Mädchens nicht. Sie schleppte ihre Gefangene einen schmalen Gang entlang, der vor einer alten Tür endete. Wortlos öffnete die Klosterfrau die Pforte und stiess Anneli mit aller Kraft in das Zimmer, das vol- ler Bänke und Tische stand. Die Kleine prellte sich beim Fall den Kopf an einer Tischkante und blieb völlig entkräftet liegen. Als sie wieder erwachte, erblickte sie in spärlichem Licht einen Tisch über sich. Ihr Kopf wog schwer wie Blei und schmerzte unerträglich. Sie stöhnte. Was war denn passiert? Wo ist Noldi? Anneli setzte sich auf. Sie begann, sich langsam zu erinnern. Als sie versuchte aufzustehen, fiel sie wieder zu Boden. Alles in ihrem Kopf drehte sich. Die Kleine kroch keuchend zur nahen Tür. Sie war verschlossen.
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