Gläubig oder glaubend? - Ivo Sasek - Elaion-Verlag

82 Die Barmherzigkeit entspringt aus dem Herzen, nicht aus dem Gesetzbuch. Als der Samariter den Halbtoten daliegen sah, „wurde er innerlich bewegt“ (V. 33) . Luther übersetzt: „Es jammerte ihn.“ Dies geschah nicht erst, als er von allen Seiten her zur Hilfeleistung aufgefordert wurde. Der Ver- letzte konnte nicht schreien, und auch sonst waren keine Menschen zugegen. Ist es die in uns drängende Liebe Christi, die uns zu guten Werken anspornt oder sind es lediglich un- sere Mitmenschen bzw. die unumgänglichen Situationen? Es jammerte ihn, „als er ihn sah“ (V. 33) . Die Barmherzig- keit handelt immer sofort und unaufgefordert, nicht erst dann, wenn es fast nicht mehr anders geht. Der Samariter war gerade „auf der Reise“ (V. 33) . Vielleicht hatte er eine geschäftliche Verabredung und war deshalb in Eile? Mögli- cherweise warteten in Jericho auch liebe Freunde auf ihren Gast? Oder er freute sich schon aufs weiche Kopfkissen, wel- ches er lange hatte entbehren müssen? Wie dem auch sei – er liess seine Pläne fallen. Die Barmherzigkeit kann eigene Ziele und Vorteile zurück- stellen. Sie kann einen Abend in gediegener Atmosphäre gegen einen Schwertransport eintauschen. Sie kann einen guten Kunden verärgern, wenn sie dadurch einem Elenden nützt. Der Samariter „trat hinzu“ (V. 34) . Die Barmherzigkeit sagt immer: „Selbst ist der Mann.“ Sie kann sich eines fremden Schicksals annehmen, insbesondere in schweren Zeiten. Sie herrscht nicht und sie delegiert nicht billig. Sie packt selber an und dient. Nun war da aber ein blutüberströmter Mann. Die Barmherzigkeit scheut keine schmutzigen Hände, sie wägt nicht lange ab.

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